15 February 2010

Human Jukebox

In der neuen Kolumne "Mach mal die Nebelkanone aus, bitte" vom Jet-Setter und DJ-Fürsten Rainier, der für Interference Musik- & Partytrends von Köln bis London unter die Lupe nimmt, lesen Sie aus aktuellem Anlass einen Beitrag über die göttliche Macht des DJ. Oder wie man en Kölle saacht: "De Jott!"

Manchmal fallen einem ganz offensichtliche Dinge erst spät auf. Das passiert einem sogar, wenn man meint, man sei mit einer Situation ganz und gar vertraut. Oder vielleicht passiert es gerade dann, weil es für einen selbstverständlich ist und man sich keine Mühe mehr macht, genau hinzusehen. Das kann ja auch sehr entspannend sein, vor allem wenn man auf eine Party geht und vor hat zu feiern. Wenn man selbst Veranstalter und auch ein bisschen De Jott ist, ist man ja froh, wenn der technische Blick die Dinge nicht in allzu kaltes Licht taucht. Es geht schließlich darum locker zu lassen, zu tanzen und zu quatschen.

Man holt sich also was zu trinken und schlendert in Richtung Tanzfläche, um sich das Treiben anzuschauen. Je nach Temperament oder Laune kann man sich auch hüpfend fortbewegen und sich direkt ins Getümmel stürzen. Der heutige DJ ist auch schon in Feierlaune, reißt die Arme in die Luft und dreht wild an den Reglern. Er liebt offensichtlich die großen Gesten. Aber wie auch immer man die Musik oder deren Präsentation finden mag, De Jott und die meisten Gäste scheinen Spaß zu haben und das ist ja erst einmal für sich genommen erfreulich.



Aber irgendwas ist ungewöhnlich. De Jott legt keine Platten auf, so viel ist klar, aber das ist es nicht. (Notebooks sind schon praktisch manchmal.) Eine Viertelstunde später: Man kommt nicht drauf. Weil man zuerst nach etwas sucht, das da ist und nicht ins Bild passt. Bis man merkt, dass das Merkwürdige daher rührt, dass etwas Gewohntes fehlt. Die Kopfhörer!!! Plötzlich wird einem klar, dass De Jott schon die ganze Zeit keine Kopfhörer trägt, weder in der Hand noch auf dem Kopf. Man sucht auf dem Pult und man findet auch dort: keinen Kopfhörer. Arbeitet er vielleicht mit einer geheimen Innenohr-Technik? Man rückt näher an das Pult heran, kann aber keine Stöpsel in den Ohren erkennen. So langsam erhärtet sich der Verdacht. De Jott verschwendet überhaupt keine Zeit mit dem Vorhören und dem Angleichen unterschiedlicher Geschwindigkeiten, trotzdem wechselt er die Tunes wie Kaugummis mit ganz wenig Geschmack und alle Übergänge sind vollkommen tight. Dabei schafft es der Mann sogar noch zu feiern und jedes Ravesignal mit Gesten auch noch zu visualisieren. Fabelhaft!

Das muss eine Maschine sein, denkt man sich und so was Ähnliches ist es auch. Nur ist der Begriff "Maschine" hier kein Kompliment wie für eine perfekt funktionierende Rhythmusgruppe oder für einen Turntable-Akrobaten. Es ist keine Respektbezeugung für die bionische Präzision eines Menschen, der über sich hinauswächst. Man sollte also um Missverständnisse zu vermeiden, lieber von einem posierenden Knöpfchendrücker sprechen, denn das einzige, was den Mann von einem stur sein Programm befolgenden Roboter noch unterscheidet, ist lediglich seine Funktion als role model für enthemmtes Feiern. In diesem Licht betrachtet rechtfertigt nicht mehr das Auflegen, sondern nur noch das öffentliche, häufige Ansetzen der Jägermeisterflasche seine Anwesenheit bei dieser Party.

Die Musik kommt zwar nicht vom Band, aber trotzdem hat das Ganze was von Playback. Die Zukunftsmusik – der Plan vom Mix – findet nicht mehr zuallererst im Kopf des DJ statt. Die Stücke sind nur noch säuberlich voneinander getrennte grafische Darstellungen auf dem Monitor. Es geht halt im Wesentlichen um den Look und nicht um den Klang. De Jott startet bloß bereits synchronisierte und zurecht geschnittene Dateien mit einem einzigen Klick, dreht mal an Reglern und bewegt den Crossfader hin und her. Das ist wirklich alles. Das ist so unfassbar wenig, das dürfte man eigentlich keinem erzählen, vielleicht glauben ja manche hier echt noch an Magie. Zu seinen Gunsten spricht allerhöchstens, dass es ihm die Musik, die (unter ihm davon) läuft, wirklich sehr leicht macht, so gut wie nichts machen zu müssen. Aufbau findet nur bis zum Drop statt, danach wird es immer langweiliger. Jede Snare klingt gleich und bei jedem stumpfen Techno-Event gibt es mehr rhythmische Variationen als hier. Würde De Jott mal versuchen, 10 Jahre alte Platten, die viel langsamer sind, mehr Kratzer haben und „bunter“ klingen, mit heutigen Tunes zu mischen, wär ganz schnell Schluss mit lustig… (Aber um Musikgeschmack geht es hier eigentlich nur am Rande…)

Man könnte einwenden: „Na und? Wo ist das Problem?!“. Schließlich simuliert De Jott dort ja noch nicht einmal, dass er arbeitet. Er ist halt im Wesentlichen ein Vortänzer. Und wenn die Leute tanzen und sich ganz viele Wölfe freuen, ohne das Fehlen des besagten DJ-Utensils als Mangel wahrzunehmen, dann ist das doch genug. Oder??!

Wenn der Alkohol dann mal verflogen ist – aber spätestens vor der nächsten Party – könnte man sich aber auch die eine oder andere grundsätzliche Frage stellen. Ist einem zum Beispiel klar, wie sehr der Entstehungsprozess die Qualität einer Sache prägt? Ist einem bewusst, dass die Aufführung eines DJ-Sets im Spannungsfeld von technischen Fertigkeiten und Spontaneität zwar nicht unbedingt besser, aber in jedem Fall persönlicher gerät als eine Darbietung, bei der menschliches Versagen aber eben auch unvorhersehbare Lösungen von Vornherein ausgeschlossen sind? Holpernde Fehler können nicht einfach gelöscht werden, man muss ja weiter und deshalb bleibt einem gar nichts anderes übrig als sie irgendwie zu nutzen. Schließlich schaffen sie die Grundlage für neue, vorher nicht für möglich gehaltene Anschlüsse. (…im besten Falle, klappt aber nicht immer!) Ist einem bewusst, dass die Freude über ein gewagtes Manöver an den motorgetriebenen Plattentellern, über einen überraschend schnellen Mix, über ein zufällig absolut perfektes Timing oder das lange Balancieren zweier Tunes im Mix um ein Vielfaches größer ausfällt, wenn man ins Schwitzen gekommen ist? Wenn sich das jahrelange Training (man kann es auch weniger sportlich als „Gewohnheit“ bezeichnen) der Ohren und Finger in diesem konkreten Moment jetzt auszahlt?

Dann erst kann man feiern. Aber piano, denn der nächste Mix macht sich nicht von alleine. Und auch nicht allzu wild, denn so wild wie es vielleicht für Außenstehende klingen mag, ist das Auflegen gar nicht. Man sollte einen DJ unter normalen Clubbedingungen nicht gering schätzen, aber man sollte ihn auch nicht mit einem Musiker verwechseln, der ein Instrument spielt. (Erstaunlicherweise wird ein DJ fast immer besser bezahlt – wenn er denn bezahlt wird – und muss nicht so viel Equipment schleppen.) Und gerade deshalb sollte sich ein DJ in erster Linie als Mechaniker (von grob bis fein) verstehen. Seine Ermächtigung zum Partydiktator ist nämlich schon von Anfang eine wacklige Angelegenheit; der Schatten der großen Jukebox steht immer schon drohend hinter ihm. Es ist ja nicht gerade so, als ob er hier wie ein Jazz-Saxophonist seine geballte Puste mit aller Kraft an einem extraharten Blättchen vorbei in sein Horn pressen müsste. Hier wird kein Kind oder Kunst geboren; das ist auch nicht die Zukunft der elektronischen Musik, das ist nur einer der sich aufspielt.

Aber kommen wir jetzt zum allerbesten Moment; zu dem Moment, in dem De Jott und Tänzer wirklich zusammenkommen. Wenn man als Tänzer merkt, dass der Mix gerade aus dem Ruder zu laufen droht, De Jott aber im letzten Moment die Kurve kriegt und dann der Bass einsetzt, dann braucht‘s kein Ravesignal um zu kapieren, dass man schreien oder pfeifen soll, weil man es ganz von alleine tut. Und mal ganz platt verglichen: Ist die kleine Spezialitäten-Bäckerei, in der es neben sehr dunklen auch sehr helle Röggelchen gibt, nicht besser als die Normware aus dem Backwerk? Hält ein Regal vom Schreiner nicht länger als Billy?? (nicht zum Essen, für die Platten!) Schmeckt die Margherita beim Neapolitaner nicht besser als die Tiefkühlscheibe vom Penny-Markt? Und für alle Fleischfresser lautet die Frage: Filetspitzen oder falscher Hase, Bio-Hühnchen oder Schenkel aus dem Mastbetrieb? Wenn beides gleich viel kosten würde, was würdet ihr wählen? Was würde euch (und nicht nur die Puppen) tanzen lassen??!

„Es geht ja doch um Geschmack hier!“
„Ja doch. Auch...“

5 comments:

  1. Belletristik und Drum&Bass??? Crossoverpotential!

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  2. Rui, in der Kürze liegt die Würze! :) Hab mich dennoch gut unterhalten gefühlt. Lieben Gruß, Morta de la Brot

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  3. Ich finde länge und Inhalt sehr richtig!
    Heiner Bremer vom Mainaustrassen Nachtjournal

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  4. Ob man lieber verkorkste Übergange und Lieder die nicht zueinander passen mag ist fraglich.

    Und das Kreative potenzial welches sich manch ein dj beim manuellen werkeln andichtet, stelle ich auch mal in frage wenn man sich anschaut was andere Leute aus den kleinen vinylscheiben zaubern, Stichwort Turntablism.

    De Jott!

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  5. Naja, verkorkste Übergänge und unpassende Musikauswahl mag keiner. Und dass ein Club-DJ beim Beat-Matching auch keine Raketenwissenschaft betreibt, steht schon im Text.

    Es geht um was anderes...

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